Religion

Am Anfang zeugten das Götterpaar Izanagi und Izanami die ersten japanischen Inseln, Flüsse, Berge, Pflanzen und zahlreiche andere Götter, darunter Amaterasu, die Urahnin des Kaiserhauses. Japans Schöpfungsgeschichte offenbart eine der wichtigsten Erkenntnisse zum Verständnis des japanischen Volkes.

Staatsgebiet, Volk, Kaiserhaus und Natur entstanden nach schintoistischer Überlieferung in einem einzigen Schöpfungsvorgang, sind also als Wirkungen eines einzigen göttlichen Aktes untrennbar miteinander verbunden. Volk, Vaterland, Kaiserhaus und Natur besitzen alle dieselben Ahnherren, bilden eine gottgegebene Einheit. Es war nicht schwer später daraus eine Mission abzuleiten, die Idee von der Einzigartigkeit Japans, der Göttlichkeit des Kaiserhauses, einen japanischen Führungsauftrag in der Welt und damit Japans imperialistische Politik in Ost- und Südostasien zu legitimieren.

Dem Schintoismus («Weg der Götter») fehlen ein dogmatisches Lehrgebäude, strenge Moralgebote, eine heilige Schrift, eine Taufe, der Gottesdienst und das Gebet. Reinheit tritt an Stelle der Lehre, das Reinigungsritual übernimmt die Rolle der Liturgie. Die vielgerühmte Sauberkeit der Japaner liegt im Reinigungsritual des Schintoismus begründet. Der Shintoismus stellt ein Reinigungsritual dar und keine Glaubenslehre.

Der Naturglaube des Schintoismus kennt eine Unzahl Götter, sie wohnen auf Bergen, in alten Bäumen, in Quellen auf fruchtbaren Reisfeldern, in Wasserfällen.

Über 70 Prozent der Japaner gelten als Schintoisten, über 80 Prozent gleichzeitig als Buddhisten und knapp 1 Prozent wird den Christen zugerechnet. Japaner finden nichts dabei, sich aus dem Angebot der Religionen und Weltanschauungen das herauszusuchen, was den jeweiligen Bedürfnissen entgegenkommt.

Für die frohen Ereignisse im Leben bevorzugen die Japaner den Schintoismus, während sie in den schweren Stunden Trost im Buddhismus suchen. Religion spielt im Leben eines Japaner aber eine sehr geringe Rolle.

Buddhismus: Religion als Frage nach dem Sinn des Lebens und damit nach dem Wesen des Todes beansprucht keinen zentralen Platz im Denken und Empfinden der Japaner. Die Tatsache geht wahrscheinlich auf die Morallehre de Konfuzius (551-479 v. Chr.) zurück, die in ihrer ursprünglichen Form, wie der europäische Humanismus, ohne den Glauben an göttliche Kräfte auskommt.

Auch der Zen-Buddhismus mit seinen Konzentrations- und Meditationstechniken, mit seiner Naturnähe und seiner Ästhetik der Schlichtheit, diente mehr der Selbstverwirklichung der Samurai als der Vorbereitung auf das Jenseits und hat sich bis heute als eine Methode der Entspannung und Regeneration, weithin losgelöst von transzendentalen Bezügen, erhalten. Auch Christen und Atheisten finden heute in Zen-Meditationen neue Kraft. Daneben hat der Buddhismus auf unvergleichliche Weise die japanische Kunst geprägt, wobei die Zen-buddhistische Malerei mit ihrer sparsamen, kraftvollen und spontanen Pinselführung japanische Originalität und Stilsicherheit auf das eindrucksvollste belegen.

Für Japan liegt die Bedeutung des Buddhismus vor allem darin, dass mit ihm und durch ihn im 7. Jahrhundert die chinesische Kultur in Japan Eingang fand, ein Ereignis, das sich in seiner Bedeutung nur noch mit der Öffnung des Landes zum Westen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergleichen lässt.

Die friedliche Koexistent zwischen Schintoismus und Buddhismus stellt ein in der Weltgeschichte seltenes Beispiel jahrhundertlanger religiöser Toleranz dar. Die japanische Geschichte kennt keine hasserfüllten, blutigen Religionskriege zwischen Schintoisten und Buddhisten.

Wie man einen buddhistischen Tempel von einem Schinto-Schrein unterscheidet? Im Innern machen Buddha-Darstellungen oder ihr Fehlen die Klärung leicht. Im Äusseren prunken buddhistische Tempel mit rotlackierten Säulen und prachtvoll vergoldeten Schnitzereien. Schinto-Schreine zeigen ihre Würde in Schlichtheit, in fehlender Bemalung, in der natürlichen Maserung des Holzes.

Christentum: Franziskus Xavier, der 1549 den katholischen Glauben nach Japan brachte, gelang es, das Christentum rasch in Südjapan zu verbreiten. Das Christentum hat sich in Japan als Volksreligion aber nicht durchgesetzt, obgleich es an intensiven Missionsbemühungen nicht gefehlt hat. Schuld daran waren zum Teil die katholischen Missionare selbst, deren unerfreuliche Machtkämpfe zwischen Jesuiten und Franziskanern ebenso wie die Intoleranz aller europäischen Missionare gegenüber den Buddhisten Abneigung und Widerstand provozierten. Die zweite Missionswelle erfolgte in der Zeit, als sich Japan im 19. Jahrhundert dem Westen öffnete, sie wurde von protestantischen Missionaren angeführt. Sie gründeten Krankenhäuser, Kindergärten und Schulen, darunter Universitäten und Heime für Behinderte. Die knappe Million bekennender Christen umfasst unverhältnismässig viele Professoren, Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftsführer, hohe Beamte, Künstler und Politiker.

Viele Japaner sind abergläubisch. Für das Leben unmittelbar relevant ist das System der «guten» und der «schlechten» Tage, das mit dem Buddhismus in Verbindung gebracht wird. Eher zum Shintoismus gehören die beliebten Orakelzettel, die an den Schreinen (oft auch an Tempeln) verkauft werden und kryptische Zufallsaussagen zum Schicksal treffen.