Selfie

Selfie: Neckisches Spiel mit sich selbst

Selbstbespiegelung auf Armlänge. Eigentlich ist das nur die Fortsetzung von etwas Uraltem mit neuen technischen Mitteln; den Hang des Menschen zur Selbstdarstellung. Die fotografischen Vorläufer hiessen Sofortbild oder Automatenfoto.

2013 hat der Ausdruck „Selfie“ Eingang in den Oxford English Dictionary gehalten: „Ein Foto, das jemand von sich selbst macht, typischerweise mit einem Handy oder einer Webcam, und über soziale Medien verteilt“.

Längst ist das Selfie zum narzisstischen Massenphänomen geworden. Es lässt Menschen vor der Linse die wundersamsten Dinge tun. Heute ist das Selfie auch nicht mehr nur ein Selfie, sondern es hat schon die absurdesten Kinder geboren: Suglie (das hässliche Selfie), Dronie (ein mit einer fliegenden Drohne geschossenes Selfie, Shelfie (von engl. shelf, Regal. Selbstdarstellung anhand von Objekten auf Bücherregalen oder Fenstersimsen) oder das Ussie (ein Gruppen-Selbstportrait) heissen einige der neuesten Wortschöpfungen.

Die Schamgrenzen scheinen sich dabei im Nirgendwo aufzulösen. Menschen, die Nacktselfies machen sind nicht mehr sicher, dass sie auf irgendeinem Computer oder Handy gehackt und crossmedial verbreitet werden, wie kürzlich einigen Vertreterinnen und Vertreter der Prominenz passiert ist.

Früher war das ziemlich anders: Die Sofortbildkamera Polaroid SX70, man beachte die Typenbezeichnung, war eigens dafür entwickelt worden, dass niemand die Selbstfotos aus dem Schlafzimmer oder von heiklen Körperpartien zu Gesicht bekam. Dank Sofortentwicklung des Bildes ersparte man sich den Gang ins Fotogeschäft und peinliche Situationen: Weder der Fotoladenbesitzer um die Ecke noch sein Laborant sollte sich ein Bild davon machen können, was da in den eigenen vier Wänden ablief.

Eine weitere technische Möglichkeit für das analoge Selfie boten die Fotoautomaten: Sie waren für viele Schülerinnen und Schüler, die in den 80er oder 90er Jahren zur Schule gingen, vergnüglicher Zeitvertreib schulfreier Nachmittage. Spannend daran war das Überraschungsmoment: Bis man den getrockneten Fotostreifen anfassen und begutachten konnte, dauerte es immerhin einige Minuten.

Fotografische Selbstaufnahmen gibt’s als nicht erst, seit jeder ständig sein drittes Auge in Form von Handy mit Vor- und Rückseitenlinse oder Digitalkamera dabei hat. Das digitale Selfie setzt nur eine lange Tradition fort. Das Bedürfnis, sich selbst abzubilden und sich anhand des eigenen Bildnisses wahrzunehmen und aufzuzeigen, dürfte fast so alt sein wie die Menschheit selbst (siehe Höhlenmalerei).

Das Selfie taugt also gut als Sinnbild dafür, dass die Digitalisierung einfach eine Entwicklung fortschreibt, welche schon früher angelegt war. Neu daran ist nur das Massenphänomen: dank neuer Technologie und unglaublicher Verbreitungsmacht der sozialen Medien. Das Selfie-App Instagram soll inzwischen weiter über 150 Millionen Nutzer haben, die jeden Tag 20 Millionen neue Bilder in den digitalen Orbit schicken.

Die menschlichen Sehnsüchte und Bedürfnisse dahinter sind dieselben geblieben. Wer es sich leisten konnte, liess sich schon bei den alten Griechen in Stein meisseln oder in der Renaissance von einem Meister in Öl auf Leinwand bannen. Schon damals hat das Medium die Realität gerne etwas beschönigt.

(aus EB Navi Januar 2015)

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